Von frommen Frauen jener Zeit ist uns durch Sage und Legende am ausführlichsten der Lebenslauf der heiligen Einsiedlerin Verena bekannt geblieben.Verena, eine Jungfrau von adeliger Abkunft, kam mit der Thebäischen Legion, welche von Kaiser Maximinian zum Kriegsdienste ausgehoben wurde, und deren Oberst Mauritius ihr Verwandter war, nach Mailand. Ihr Vormund, der ehrwürdige Greis Viktor, hatte die verlassene Waise bei einer angesehenen christlichen Familie untergebracht. Dort besuchte die fromme Junfrau während der grausamen Christenverfolgungen voll des innigsten Mitleids die Gefangenen in ihren schauerlichen Gefängnissen, tröstete, ermutigte sie im Glauben an Christus und erquickte sie mit Speise und Trank. Bald aber erlaubte man dem Engel des Trostes nicht mehr, die Gefangenen zu besuchen. Der christliche Familienvater Maximus, bei dem Verena mehrere Jahre gewohnt hatte, wurde gefangen genommen, sie selbst als eine Fremde aus der Stadt vertrieben. Um sich eine stille Zufluchtsstätte zu suchen, überstieg sie die Alpen, kam in das Rhonetal, in die Gegend von Martinach (Martigny), und vernahm, daß hier die Thebäische Legion, mit ihr auch ihr geliebter Vormund Viktor, wegen ihres christlichen Glaubens von den heidnischen Soldaten des römischen Kaisers ermordet worden sei. Verena benetzte den blutgetränkten Boden mit ihren Tränen und pries die starkmütigen Märtyrer glücklich.
Von den Heiden vertrieben, zog Verena weiter über die Waadt nach Bern und kam an die Aare bei Solothurn. Hier verbarg sie sich in einer Felsenhöhle. Niemand wußte ihren Aufenthalt, außer einer christlichen Witwe, die sie von Zeit zu Zeit mit Speisen versah und dafür Handarbeiten entgegennahm, in denen Verena sehr geschickt war.
Nicht lange blieb Verena in ihrer Felsenhöhle verborgen. Christliche Frauen und Jungfrauen suchten bei der heiligen Rat und Trost; Kranke und Gebrechliche flehten sie um Hilfe an; denn Gott hatte sie mit der Wundergabe begnadigt. Verena belehrte die Heiden im Glauben an Christus, und viele nahmen die Warheit und das Glück des Christentums an. Allen leuchtete die Klausnerin durch unablässigen Gebetseifer, durch rastlose Arbeitsamkeit und Wohltätigkeit voran. Viele kehrten von ihr heim, geheilt an Leib und Seele.
Der Ruf von der wundertätigen Christin kam auch zu den Ohren des römischen Landpflegers Hyrtacus. Sogleich ließ er Verena vor seinen Richterstuhl führen und suchte sie durch Spott ihrem Glauben abtrünnig zu machen. Sie aber wußte ihren Glauben so überzeugend zu verteidigen, daß der Heide kein Wort entgegnen konnte. Er ließ sie in ein schauerliches Gefängnis werfen und kündigte ihr Folter und Hinrichtung an, wenn sie dem Christentum nicht abschwöre. Die heldenmütige Jungfrau freute sich, um des Namens Christi willen Schmach zu leiden und flehte inbrünstig zu Gott nicht um Befreiung aus dem Kerker, sondern um Starkmut im Martertode. Im Traume erschien ihr der hl. Mauritius im weißen Kleide und Purpurmantel, umgeben von einer großen Schar verklärter Jünglinge mit Palmzweigen in den Händen, und sprach zu ihr: "Verena, vertraue auf den Herrn, er wird mit dir sein! Halte dich an sein Wort, und du wirst erfahren, daß sein Arm stark ist. Er wird dich erretten." Verena wurde mit wunderbarem Mute erfüllt und erwartete freudig jede Stunde den Martertod. Gott fügte es aber anders.
Hyrtacus erkrankte schwer, und da die Ärzte keinen Rat mehr wußten, ließ er Verena zu sich führen und bat sie demütig, bei Gott für seine Genesung zu beten. Verena sah seine ernste Reue und erflehte ihm die Gesundheit zurück. Nun durfte sie frei ihr segensreiches Wirken entfalten. Viele Frauen und Mädchen kamen täglich zu ihr, um Rat zu holen, mit ihr zu beten und sich in allerlei feinen Handarbeiten unterweisen zu lassen. In einer Hungersnot wurde Verena zum rettenden Engel für manche arme Familie. Mit einigen Schwestern, die sich ihr angeschlossen hatten, arbeitete sie Tag und Nacht, um von dem Erlös Nahrung für die Armen zu kaufen. Sie selbst begnügte sich mit dem Einfachsten und Geringsten. Da sich der Ruf der heiligen Einsiedlerin immer weiter verbreitete, wuchs die Zahl der Rat Suchenden von Tag zu Tag, mehr und mehr häuften sich die Ehrenbezeigungen ob ihrer wunderbar helfenden Kraft.
Dieser Zudrang trieb die stille Verena von neuem in die Einsamkeit. In der Mündung der Aare in den Rhein soll sie darauf lange Zeit in einer Hütte gelebt haben, bis ein Pfarrer sie als Haushälterin zu sich nahm. Ein Knecht verleumdete sie bei ihrem Herrn; Gott aber brachte ihre Unschuld wunderbar zu Tage. Der mißgünstige, hinterlistige Knecht "stahl seinem Herrn einen kostbaren Ring, warf ihn in den Rhein und verklagte die unschuldige Haushälterin als die Diebin. Der Priester verlangte von ihr den Ring, den er ihr zum Aufbewahren anvertraut hatte. Sie weinte bitterlich und flehte den ganzen Tag und die ganze Nacht, Gott wolle ihre Unschuld und den Ring an den Tag kommen lassen. Am nächsten Morgen ging der Pfarrer an den Rhein, wo eben Fischer einen großen Salm gefangen hatten. Sie schenkten ihm den Fisch. Als dieser aufgeschnitten wurde, fand man in seinen Eingeweiden den vermißten Ring. Der boshafte Knecht bekannte nun reuig sein Vergehen".
Als Verena das Nahen des Todesengels spürte, zog sie sich mit Erlaubnis des Pfarrers in eine einsame Zelle zurück, wo sie bald darauf verschied. Es war um das Jahr 340. Ihre Gebeine wurden in Zurzach beigesetzt und 1308 in den Stephansdom zu Wien übergeführt, "wo sie Gott durch viele Wunder verherrlicht hat. An ihren Namen knüpfen sich viele anmutige Sagen, die sie als Mutter der Armen und Trösterin der Unglücklichen preisen".
Aus: Deutsche Heilige - Eine Geschichte des Reiches im Leben deutscher Heiliger - Bearbeitet und herausgegeben von Johannes Walterscheid - Mit 555 zumeist bisher unveröffentlichten Bildern, Karten, Initialien und Vignetten. Verlag Josef Kösel & Friedrich Pustet München. Redaktionsexemplar des Immaculata-Verlags, CH-9050 Appenzell (Schweiz). Transkription: P.O.S.