Bischof Ulrich war kein Gegner der Reform, den Konstanzer Bischofsstuhl hat er in einer Notsituation übernommen. Er war eng mit den Augustiner-Chorherren verbunden, deren Gemeinschaften aus der "Gregorianischen Reform" heraus entstanden. Zusammen mit seinen Eltern und seinen Brüdern hatte er schon 1095 an der Gründung des Stiftes der Augustiner-Chorherren in Neresheim mitgewirkt. So war es für ihn naheliegend, auch bei seiner Bischofsstadt ein Stift nach dr Regel des heiligen Augustinus zu gründen. Da das Stift auch der päpstlichen Bestätigung bedurfte, konnte er wohl erst nach 1118 mit der Verwirklichung seines Planes beginnen. Auf Grund einer Quelle - der "vita prior", in welcher das Leben Bischof Konrads beschrieben ist - ist anzunehmen, dass die Stiftskirche im Jahre 1124 vollendet war. Diese Quelle berichtet von den großen Festlichkeiten zur Feier der Heiligsprechung Bischof Konrads von Konstanz (934-75) am 26. November 1123. Eine "unzählbare Menge" sei herbeigeströmt, wie der Verfasser, Udalschalk, berichtet und habe an den Feierlichkeiten im Münster und an den Prozessionen teilgenommen. In einem Nachtrag zur "vita prior" erwähnt nun Udalschalk eine Prozession mit den Konradsreliquien zur "Basilika St. Ulrich, vor den Mauern gelegen", damit sich die beiden Heiligen, die im Leben freunde waren, begrüßen können. Diese Prozession muss im Jahre 1124 stattgefunden haben, vielleicht am Fest Christi Himmelfahrt, weil später an diesem Fest immer eine Prozession zum Stift war. Es ist nun zu fragen, warum diese Prozession nicht schon währen der Feierlichkeiten im November 1123 stattfand, hätte sie doch bestens ins Programm gepasst. Da kann die Antwort wohl nur sien, dass damals die Kirche noch im Bau, 1124 dann vollendet war. Aber die Gemeinschaft der Chorherren war schon beieinander, wird doch für 1123 bereits der erste Propst des Stiftes, Heinrich, genannt. Am 27. November 1125 bestätigte Paps Honorius II. (1124-30) dem Propst Heinrich das Stift und da kanonische Leben nach der Regel des heiligen Augustinus, erlaubte die freie Wahl des Propstes, gab das Beerdigungsrecht und drohte allen, die das Stift schädigen, mit dem Bann. Ende des Jahres 1125 war also die Gründung des Stiftes vollendet; da der Bau einige Zeit beanspruchte, kann der Beginn um das Jahr 1120 angesetzt werden. Papst Lucius II. (1144-45) nahm das Stift am 14. Oktober 1144 in den Schutz des heiligen Petrus und in den seinen.
Das Chorherrenstift wurde nicht in der Stadt errichtet, sondern sogar noch außerhalb des bischöflichen Fronhofes Stadelhofen: auf dem Gelände gegenüber dem heutigen Bellevue-Areal. Dieses Abseits erklärt sich aus dem eremitischen Einfluss, der in der strengeren Form der Augustinus-Regel wirksam war.
Eine Notiz in der päpstlichen Urkunde kann auf die Herkunft der ersten Chorherren hinweisen: aus den weltlichen Stuften der Kathedrale und von St. Stefan. Es gibt andere Beispiele, dass sich reformwillige Chorherren aus weltlichen Stiften zu klösterlichen Gemeinschaften zusammenfanden.
Bischof Ulrich gab seiner Gründung das Doppelpatronat "Ulrich und Afra", ein typisches Augsburger Patronat. Diese Wahl ist leicht erklärbar. Bischof Ulrich entstammte derselben Familie wie der heilige Ulrich von Augsburg: aus dem Hause der Grafen von Dillingen. Auch das von der Familie Ulrichs errichtete Stift in Neresheim wurde Ulrich und Afra geweiht. Noch einen zweiten gab es, der alles Interesse an diesem Patronat hatte: Udalschalk, den Verfasser der "vita prior", der Mönch des Klosters Ulrich und Afra in Augsburg war.
Von Heinrich, dem ersten Propst, berichtet uns eine Überarbeitung der "vita prior", die "vita altera": Heinrich hatte schon unter Bischof Gebhard III. (1084-1110) das Amt des Viztums, des Ökonoms des Bistums, inne. Mit Udalschalk zog er 1123 nach Rom, um die Heiligsprechung Konrads zu erreichen. Die Stellung, die er schon unter Bischof Gebhard innehatte, weist ihn aus als einen Mann der Reform und in ihm fand sicher Bischof Ulrich den geeigneten Mann, seinen Plan, ein reguliertes Chorherrenstift zu gründen, auszuführen.
Das Hospiz des heiligen Konrad und seine Erneuerung
Auf dem Laterankonzil vom 28. März 1123 wurde Bischof Konrad (934-75) heilig gesprochen; der Gang Udalschalks und Heinrichs hatte sich gelohnt. Darauf fand das schon erwähnte große Fest am Konradstag 1123 statt. Darunter waren auch drei Herzöge, deren Namen wir der Urkunde Kaiser Heinrichs V. von 1125 entnehmen können: Der Staufer Friedrich, Herzog von Schwaben, der Welfe Heinrich der Schwarze, Herzog von Bayern, und der Zähringerherzog Konrad. Diese brachten Gaben dar für die Armen und die Pilger. Nichts schien nun richtiger, schreibt Udalschalk, als damit das vom heiligen Konrad gegründete, aber altersschwache Hospiz zu erneuern. Die Heiligsprechung Konrads muss das Hospiz wieder ins Blickfeld geführt haben, und die Überlieferung war in Konstanz noch lebendig, dass Bischof Konrad das Hospiz gegründet hat. Es muss sich in argem Zustand befunden haben; Udalschalk nennt es "durchs Alter baufällig", die kaiserliche Urkunde gar "teilweise zerstört" und gibt dafür auch den Grund an: die Nachlässigkeit einige Nachfolger Bischof Konrads. Es war also nicht, wie es da und dort heißt, "vom Krieg zerstört", sondern vernachlässigt und mehr als renovationsbedürftig. Udalschalk nennt auch den Zweck des Hospizes: Es soll zwölf Arme nebst anderen, die vorbeiziehen, aufnehmen; es war also nicht ein Krankenhaus, sondern eine Armen- und Pilgerherberge. In welchem Jahr Konrad das Hospiz gründete, ist nicht bekannt. Das Hospiz lag in der Stadt Konstanz, innerhalb des damaligen Mauerringes, wohl an der heutigen Wessenbergstraße in Münsternähe. Spätere Chronisten erzählen, allerdings etwas ungenau, dass am Obermarkt ein Spital gewesen sei; über den Zweck geben sie keine Auskunft. Vielleicht ist hier eine Erinnerung an den ursprünglichen Standort des Hospizes erhalten geblieben.
Die kaiserliche Urkunde überliefert uns auch den Namen des Hospizes: "Crucelin", so habe es im Volksmund geheißen. "Crucelin" - "Kreuzchen", das lässt darauf schließen, dass es sich um ein Heiligkreuz-Hospiz gehandelt hat, und das passt auch in das "Jerusalemprogramm" Konrads: neben der Mauritiusrotunde mit der Kopie des Heiligen Grabes zu Jerusalem ein Heiligkreuz-Hospiz. Von daher ist es auch wahrscheinlich, dass die Betreuung des Hospizes den Chorherren von St. Mauritius - auch hier die Zwölf-Zahl - übergeben wurde, aber sicher nicht "Augustinern und Augustinerinnen", wie es auch schon gesagt wurde; denn zur Zeit des heiligen Konrad gab es weder das eine noch das andere.
Eine spätere Überlieferung führt den Namen "Crucelin" auf eine Kreuzreliquie zurück, die Bischof Konrad dem Hospiz geschenkt habe. Diese Überlieferung ist glaubwürdig; dafür spricht schon die volkstümliche Verkleinerungsform "Crucelin". Ob der Holzsplitter wirklich vom Kreuz Jesu stammt, ist eine Frage, die nicht schlüssig beantwortet werden kann. Bischof Konrad unternahm dreimal eine Pilgerreise nach Jerusalem. Da wird er eine Partikel des damals als echt verehrten Kreuzesholzes mitbekommen haben. In jener Zeit kam die Verehrung des Kreuzes und des leidenden Herrn auf. Dass auch Konrad davon ergriffen war, zeigt schon sein von ihm errichtetes Heiliges Grab in der Mauritiusrotunde. Sei es nun mit der Frage nach der Echtheit so oder anders, wesentlich ist nicht die materielle Identität, sondern die Zeichenhaftigkeit für das Kreuz Jesu.
Wir kennen auch den letzten Vorsteher des altersschwachen Hospizes: Henricus prepositus de Crucilino", gestorben an einem 25. Februar zwischen 1105 und 1119; so ist es dem Totenbuch von Wagenhausen zu entnehmen. Da er ausdrücklich "von Crucilin" genannt wird, lässt er sich nur in das damals noch in der Stadt bestehende Hospiz einordnen.
Eine Aussage im kaiserlichen Dokument gibt ein Rätsel auf: Bischof Gebhard (1084-1110) seligen Gedenkens habe nach dem weisen Rat seiner Kirche das Hospiz an den Ort verlegt, den die Bewohner "Munsterlin" nennen. Dieses Rätsel wird auf verschiedene Weise zu lösen versucht: Da sollen im Hospiz dienende Frauen nach Münsterlingen übersiedelt worden sein, aber nirgends ist die Rede davon, dass Frauen im Hospiz dienten, und eine Verlegung des Hospizes wäre das auch nicht gewesen. Oder es soll dort wirklich ein neues Hospiz eingerichtet worden sein. Nun aber lag 1123 das Hospiz nach dem Augenzeugen Udalschalk eindeutig in er Stadt, aber war zweifelsohne nicht mehr im Betrieb. Eine Erklärung für die Verlegung können die unsicheren Zeiten unter Bischof G3bhard bieten, während dessen Regierungszeit die Stadt auch unter Belagerungen litt. Als eine Lösung nur auf Zeit vorgesehen, hätten dann Pilger an einem etwas abgelegenen Ort eine Unterkunft gefunden; für die Armen war diese Lösung ungeeignet. Die Verlegung setzt auch voraus, dass dort bereits ein Klösterchen bestand, dafür spricht der volkstümliche Name "Munsterlin". 1123 war jedenfalls diese Münsterlinger Angelegenheit erledigt; Udalschalk weiß nichts davon.
Am 7. Januar 1125, ein gutes Jahr nach dem großen Konradsfest, erlaubte Kaiser Heinrich V. dem Bischof Ulrich, das Hospiz zu erneuern aus den Einkünften seiner Kirche und den Schenkungen der Fürsten.
Die Verlegung des Hospizes in das Chorherrenstift
Die Urkunde Kaiser Heinrichs anfangs 1125 spricht nicht vom Stift, sondern nur vom Hospiz. Dass aber damals schon geplant war, das Hospiz mit dem Stift zu verbinden, geht aus der Bemerkung hervor, Bischof Ulrich wolle das Hospiz erneuern zu Ehren der Heiligen Ulrich und Afra. Papst Honorius schreibt in seiner Urkunde vom 27. November 1125 von "Hospiz und Stift" zu Ehren dieser beiden Heiligen. 1127 sagt Bischof Ulrich, e habe eine Armenstiftung, welche in der Stadt für zwölf Arme war, auf das Stift übertragen.
Die Erneuerung des Hospizes kam Bischof Ulrich wohl gelegen. Was in der kaiserlichen Urkunde noch als Dotation für das Hospiz erscheint, gilt in seiner Urkunde für das Stift. Zugleich ergab sich für die Chorherren ein Tätigkeitsfeld, das sich mit den Anforderungen der strengeren Augustinus-Regel deckte.
Ein Bericht, die "vita altera", die etwa 25 Jahre später überarbeitete "vita prior", meldet, Bischof Ulrich habe zuerst das Hospiz in der Stadt erbaut, dann aber, besser beraten, die geschenkten Güter auf sein Stift übertragen; von einer Verbindung des Hospizes mit dem Stift ist nicht die Rede. Das sieht wie die Verteidigung eines um 1150 eingetretenen Zustandes aus, der noch zu erläutern ist. Der Bericht ist so zu verstehen, dass Bischof Ulrich zuerst das Hospiz in der Stadt wiederherstellen wollte - vielleicht war es nur ein Vorwand, und er hat sich dann auf die "bessere Beratung" gestützt - und es dann doch ins Stift verlegte und dass diese Verlegung und Verbindung mit dem Stift nicht überall auf Gegenliebe stieß; es ist anzunehmen, dass dieser Widerstand von Reformgegnern ausging. Wenn Bischof Ulrich 1127 an der Synode es allen zu wissen gibt, dass er eigens ein Gut gekauft habe, um das zu ersetzen, was er vom Eigentum des Bistums dem Stift gegeben hat, dann lässt auch das darauf schließen, dass er bei der Gründung und Ausstattung des Stiftes Widerstand erfahren hat. Die Tatsache bleibt: Das Hospiz wurde aus der Stadt ins neu gegründete Chorherrenstift verlegt und mit ihm vereinigt. Sein Ort war wohl innerhalb des Stiftbezirks. Und mit dem Hospiz kamen auch die Kreuzreliquie und der Name "Crucelin" ins Stift.
Zum weiteren Schicksal von Hospiz und Stift
Bis zum Jahre 1145 heißt es in den Urkunden immer "in Hospiz und Stift". 1146 wird Heinrich in einer Urkunde als Abt angesprochen: Die Probstei St. Ulrich und Afra wurde zur Abtei; in der Anrede fehlt aber das Hospiz. Heinrich starb zwischen 1146 und 1149; sein Nachfolger Mangegold wird 1151 als "Abt des Klosters St. Ulrich" bezeichnet. Wie Kaiser Friedrich Barbarosse (1125-90) das Stift 1154 auf die Bitten seines Onkels Welfs IV. und des Abtes Mangold in seinen Schutz nimmt, schreibt er "abbatia CRUCELIN". Diese erste kaiserliche Urkunde für das Stift bezeichnet aber auch die Urkunde Kaiser Heinrichs von 1125, die dem Hospiz galt, als für das Stift gegeben. Mit der Erhebung der Propstei zur Abtei wird also das Hospiz nicht mehr genannt. Das dürfte zusammenhängen mit dem Übergang von der strengeren zur milderen Augustinus-Regel; und so wurde das Hospiz zur Nebensache. Wann es völlig unterging, ist nicht auszumachen. Wenn 1253 in einer päpstlichen Urkunde von einem Hospital des Klosters die Rede ist, aus dem Soldaten des Bischofs Eberhard (1248-74) Arme, Gebrechliche und Kranke hinausgeworfen haben, so passt diese Beschreibung sehr gut zum 1259 erstmals genannten Siechenhaus auf dem Hörnli. 1293 wird erwähnt, dass das Kloster zu den vier "Raiti", den Armenpflegen der Stadt, gehört; vom Hospiz ist nicht die Rede.
Mit dem Übergang von der Propstei zur Abtei um 1146 war wohl auch die Übernahme der Pfarreiseelsorge verbunden, bis anfangs des 19. Jahrhunderts umfasste die Klosterpfarrei Kreuzlingen die Dörfer Egelshofen und Kurzrickenbach sowie die Konstanzer Vorstadt Stadelhofen mit der Filialkirche St. Jokok (erbaut 1399), die 1814 profaniert wurde, undderen Gemäuer heute noch an der Kreuzlingerstrasse 15 steht, deren "Inhalt" aber der ursprünglichen Zweckbestimmung stark entfremdet ist.
Was vom Hospiz beim Stift blieb, ist einzig die Kreuzreliquie und der Name "Crucelin".
"Crucelin" - "Kreuzlingen"
Ein Nachgehen der Entwicklung und der "Wanderungen" dieses Namens gibt uns zugleich einige Einblicke in die weitere Geschichte des Chorherrenstiftes.
Der Ursprung des Namen liegt in Konstanz, im Hospiz des heiligen Konrad; dieses Hospiz hat den Namen dem Stift weitergegeben, mit ihm blieb er bleibend verbunden und konnte sogar "St. Ulrich" verdrängen; die heilige Afra wurde schon früh nicht mehr eigens erwähnt. Kontinuierlich verbunden mit dem Namen "Kreuzlingen" ist bis heute die ehemalige Klosterpfarrei, die Pfarrei St. Ulrich.
1152 kommt in Urkunden der Name wieder vor als "Crucilingen", in der falschen ingen-Form; ein gleicher Vorgang wie er auch in "Munsterlin" - "Münsterlingen" geschehen ist. Aber noch lange Zeit ist auch die ursprüngliche Form "Crucelin" in Geltung, schon in der zeitlich folgenden Urkunde, der schon erwähnten Kaiser Barbarossas von 1154, heißt e wiederum "Crucelin".
Nach 1499 wurde das Kloster 1633 zum zweiten Mal zerstört und nicht wieder am alten Ort aufgebaut. Zwei Gebäude vom "alten Kreuzlingen" blieben: das "Schäpfli", das Gasthaus des Stiftes und einst das einzige Haus an der Hauptstraße von der Grenze bis zum Stift, später ins Hotel "Helvetia" umgewandelt und 1896 abgebrannt, und noch heute wird der Platz nach diesem Hotel benannt; vielleicht könnte im "Schäpfli" das mit dem Stift verbundene Hospiz gewesen sein? Das andere Gebäude ist in Konstanz zu suchen: das "Haus zum Ackertor", Hüetlinstrasse 31, im Hinterhof, wiederhergestellt nach der Belagerung durch die Schweden, wiederholt umgebaut, trägt es die Jahrezahl 1770; es gehört zum alten Stiftsbezirk, war ein Wirtschaftsgebäude und wurde 1410 durch den Bau der Ringmauer um die Vorstadt Stadelhofen vom Kloster getrennt, blieb aber bis anfangs des 19. Jahrhunderts in dessen Besitz.
Nach 1650 erfolgte der Wiederaufbau von Kirche und Kloster an der heutigen Stelle und der Name "Kreuzlingen" wanderte selbstverständlich mit. Nachbar wurde die damals schon bestehende "Hofstatt"; zu ihr gehörte das Konstanzer Siechenhaus, das eine eigene ,von Augustiner-Eremiten aus der Stadt betreute Kapelle hatte; sie stand auf dem Platz der heutigen Hirschenpost. Diese "Hofstatt" war aber schon nicht mehr "Kreuzlingen"; denn dieser Name war bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts nur mit dem Kloster und seinen Besitzungen, bis zum Ende er Alten Eidgenossenschaft mit seinem klosternahen Niedergerichts-Bezirk, verbunden, zu dem nicht viel mehr gehörte als das Stift und seine Gebäudlichkkeiten. Wer nicht im Stiftsbezirk wohnte, wohnte nicht mehr in Kreuzlingen. Der große Stein, nach Verschiebung heute bei der Thurgauer Kantonalbank, ist d4er alte Grenzstein zwischen dem Gebiet Kreuzlingen und der konstanzischen Vogtei Eggen, zu der auch die Dörfer Egelshofen und Kurzrickenbach gehörten.
So hat sich um das Kloster keine Siedlung gebildet, wie wir da etwa in St. Gallen und anderswo sehen. Das Kloster ist siedlungsgeschichtlich sowohl am alten wie am neuen Ort ohne jee Bedeutung. Daher ist die Aussage der Reklametafel an der Hauptstraße falsch, die Geschichte Kreuzlingens sei die seines Klosters. Etwas vom ursprünglichen "Abseits" ist dem Kloster immer geblieben; das ist noch heute gut erkennbar. Die Hofstatt ist - wie schon erwähnt - älter als die Klostergebäulichkeiten, ebenso das Felsenschlössli. Auf der anderen Seite des ehemaligen Klosters ist die weite Gemeindewiese, und die gegenüberliegenden Häuser an der Hauptstraße wurden erste geraume Zeit nach der Aufhebung des Stiftes gebaut. Die Häuser etwa zwischen "Bären" und "Löwen" wurden als "bei" oder "vor" Kreuzlingen bezeichnet; erst später dehnte sich der Name auf die neuen Häuser ntlang der Hauptstraße aus, die auf ehemaligem, dem Kloster gehörenden Boden standen.
Noch in einem anderen Sinn kann man von einem "Abseits", ja fast von einem "Fremdkörper" sprechen: Das Kloster war ein schwäbisches Stift auf eidgenössischem Boden. So waren nach dem im Pfarrarchiv erhaltenen Professbuch unter den 58 Chorherren, welche zwischen 1725 und 1797 die Profess (die feierlichen Gelübde) ablegten, nur drei Schweizer. Das Stift galt auch als Reichskloster, in den Adressen an den Abt heißt es: "Prälat des Heiligen Römischen Reiches", und in der kleinen Herrschaft Hirschlatt nördlich von Friedrichshafen war er seit der Mitte des 18. Jahrhunderts gar reichsunmittelbarer "Landesfürst".
1848 wurde das Kloster aufgehoben, und um diese Zeit begann sich entlang der Hauptstraße eine neue Siedlung zu entwickeln, die sich nicht mehr "bei" oder "vor", sondern einfach "Kreuzlingen" nannte; die um 1840 eingerichtete Poststelle dürfte dazu beigetragen haben. Aber erst 1874 ging der Name "Kreuzlingen" auf die damalige politische Gemeinde Egelshofen über. Für das heutige Kreuzlingen und seine Geschichte, das heißt für die Dörfer Egelshofen, Kurzrickenbach und Emmishofen, ist das Stift lediglich eine Randerscheinung, wenn auch die ehemalige Klosterkirche zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden ist.