Montag, März 06, 2006

Mariastein - Das Heiligtum


Der Bau des Heiligtums U. L. Frau im Stein ist eine Sache von mehreren Jahrhunderten und Zeitepochen. Von seinen Anfängen bis zu seiner Vollendung liegen fast 600 Jahre. Wir finden Spuren jeder einzelnen Bauperiode. Aber trotzdem so manche Hand daran gearbeitet und soviele Jahrhunderte daran gebaut, so ist Mariastein ein äußerst interessantes Gebilde von verschiedenen Stilen, die mit großem Verständnis zu einem Ganzen vereinigt worden sind. Die schlichte, einfache Empire-Fassade mag, zum ersten Male gesehen, vielleicht etwas eintönig erscheinen, für den öfteren Besucher wirkt sie imposant.
Das innere Portal ließ Abt Augustin Rütti Anno 1691 erstellen von Meister Peter Fetzel von St. Gerold in Vorarlberg. Über der Türe steht ein sehr schön in Stein gehauenes Marienbild, auf den Voluten über den Säulenspitzen schweben zwei Engel mit dem Wappen der beiden ersten Äbte von Mariastein: Fintan Kiefer, der Erbauer der Kirche, und Augustin Rütti.
Die Kirche ist durch zwei Säulenreihen in drei Schiffe geteilt und ist 60 m lang, 24 m breit und 16 m hoch. Wir finden im Schiffe Spuren des romanischen und des Barockstiles, während der Chor, obwohl aus der gleichen Zeit stammend, gotisch gebaut, aber sehr glücklich mit dem Barock vereint ist. Der Hochaltar, wohl einer der schönsten der Schweiz, war ein Geschenk Ludwig XIV. von Frankreich. Das Chorgetäfel, eine feine Arbeit, stammt aus der kundigen Hand des Br. Gallus Gschwend. Es trägt das Wappen des Abtes Augustin Glutz (1719-1745). Das Chorgitter, ein Kunstwerk der Schmiedeisenkunst, stammt aus zwei Epochen, das Mitteltor von 1695, die beiden Seitentore von 1929, bis zu welchem Datum zwei Altäre dem Chor vorgebaut waren. Ursprünglich hatte die Kirche 54 Wappenscheiben, die aber leider nicht mehr vorhanden sind. Den letzten Schmuck erhielt die Kirche durch die Bemalung von Schiff und Decke, ausgeführt von Lothar Albert in Basel. Der Bilderzyklus der Seitenwände zeigt das Leben des hl. Benedikt, die Deckenbemalung die Entstehungslegende von Mariastein.
Die Siebenschmerzen-Kapelle ward erbaut von den Edlen von Reichenstein, ist geziert mit dem Bild der Schmerzensmutter und mit einem Sakramentshäuschen, aus dem Jahre 1520 datiert.
Die Gnadenkapelle besteht seit Beginn der Wallfahrt. Zuerst war diese Höhle die einzige Kapelle. Von der alten Ausstattung stammt nur noch das Gnadenbild, das seinen Ursprung Ende des 14. oder anfangs des 15. Jahrhunderts hat. Der Sakramentsaltar verdrängte alte, belanglose Altäre und wurde 1645 von Schultheiss Schwaller gestiftet und von Bildhauer Schnorff von Solothurn ausgeführt.

Die Wallfahrtstätigkeit

Nach der Reformation hatte der Wallfahrtspriester im Stein durch seinen Eifer die Pilgerfahrten stark gehoben, aber trotzdem blieb Mariastein ein kleiner Wallfahrtsort. Erst als die Benediktinermönche den Gnadenort übernahmen, kam Schwung und Leben hinein. In dem Maße, als sich das Kloster hob, entwickelte sich auch die Wallfahrt. Unter den Pilgern kamen viele, um Unterricht und Stärkung im Glauben zu suchen. Und es waren nicht bloß Katholiken, sondern auch eine große Anzahl solcher, die außerhalb der Kirche geboren, im stillen Klösterlein den wahren Glauben und die Vereinigung mit der Mutterkirche fanden. Ein alter Bericht gibt die Zahl der Konvesionen in den Jahren 1640-1814 auf fast 1500 an. Für die "Gelübdetafeln", die zum Dank für hier erlangte Gnaden in der Kirche aufgehängt wurden, war bald kein Raum mehr zu finden, und das Wallfahrtsarchiv füllte sich mit beglaubigten Berichten über wunderbare Gnadenerweise.
Das Kloster bedeutete nicht bloß für die Umgebung, sondern auch für das nahe Elsaß einen Hort des Glaubens und des Trostes; denn immer und immer wieder wurde es vom Kriege heimgesucht. In solchen Zeiten der Not war Mariastein für gar viele, Laien und Geistliche, eine sichere Zufluchtsstätte. Während der Revolution durfte in Frankreich kein Gottesdienst mehr gehalten werden; deshalb gingen die braven Elsäßer nach dem nahen Mariastein. Wie Verbrecher mußten sie unter dem Schutze der Nacht auf heimlichen Pfaden ihr Ziel aufsuchen, um bei Maria, der Trösterin der Betrübten, Zuflucht zu finden und ihr Leid zu klagen. Die Kirche und Kapellen von Mariastein waren von bedrängten Gläubigen umlagert, die das Sakrament der Buße, der ersten hl. Kommunion oder der Ehe erbaten. Welch rührenden und tröstlichen Anblick gewährten diese Massen der Verfolgten, die mit solcher Andacht beteten und, im Beichtstuhle kniend, himmmlische und irdische Tröstungen empfingen. Hier wurde Unterricht erteilt, dort gepredigt, an einem anderen Ort die Sakramente gespendet. Unsäglich waren die Mühen und heroisch die Opfer der damaligen Mönche. Wieviele Tausende damals Rettung und Bewahrung ihres Glaubens unserem Gnadenorte verdankten, dies anzugeben, entzieht sich aller menschlichen Berechnung. Aber wenn das obere Elsaß nicht in gleichem Maße wie die Nachbarprovinzen in den Abgrund der Revolution und die Greuel der Gottlosigkeit hineingezogen wurde, so muß dies vorzugsweise den Bemühungen der Patrs von Mariastein zugeschrieben weden, die sogar als Bauern und Metzger verkleidet unter das Volk gingen, um die Sakramente im geheimen zu spenden.
Und kaum war die Wallfahrt nach der Revolution wieder eröffnet, als auch das Volk aus allen Gegenden wieder zahlreicher und ungehinderter nach Mariastein strömte. Manche hatten während den Revolutionsstürmen gemachte Gelübde zu lösen, andere die längst entbehrte Aussöhnung mit Gott und der Kirche nachzusuchen; manche kamen, um den nötigen Religionsunterricht zubitten, andere um ungültige Ehen in Ordnung zu bringen, wieder andere hatten sonst schwere Anliegen, für die sie Trost und Hilfe suchten. Alle wollten des lang vermißten oder nur karg genossenen Trostes der hl. Religion wieder in freiem und reichem Maße teilhaftig werden.
Frankreich hatte viele Jahre hindurch keine oder keine rechtmäßigen Priester gehabt. Das ganze Volk schmachtete und darbte in religiöser Hinsicht. Zwar kehrten, nachdem Napoleon mit dem Hl. Vater ein Konkordat abgeschlossen, viele der vertriebenen Priester wieder zurück, aber es gab manchen Zwiespalt zwischen den Geschworenen und Nichtgeschworenen, d. h. jenen, die den Eid auf die Verfassung abgelegt hatten und jenen, die es nicht getan.
Unter diesen Umständen hatten die Hüter der Wallfahrt von Mariastein die schwere Aufgabe, in religiösen Dingen vieles zu ordnen, zu ergänzen, nachzuholen und den zurückgekehrten Geistlichen beim Volke wieder Eingang und Einfluß zu verschaffen. Auf ein Wort der Patres von Mariastein legte man nämlich großes Gewicht, um ganz beruhigt zu sein, denn man wußte, daß sie nie den Eid geschworen und von der Kirche keinen Ausgenblick getrennt gewesen waren, sondern im Gegenteil um der Religion und Kirchentreue willen verfolgt wurden. Eine ähnliche Rolle als religiöse Zufluchtsstätte spielte das Kloster einige Jahre später, als in den süddeutschen Nachbargebieten der Josephinismus und seine Wirren auftraten.
Durch die Bemühungen des Abtes Fintan Kiefer und durch den Seeleneifer der Patres wurden immer mehr Pilger angezogen. An Sonn- und Feiertagen war vor dem Amte in der großen Kirche deutsche und oft gleichzeitig in der Gnadenkapelle noch französische Preidigt. Unter diesem Abte wurde das tägliche "Salve Regina" in der Gnadenkapelle eingeführt.
Die Zahl der Kommunionen stieg unter Abt Fintan von 18.000 auf 40.000. Bis zur Revolution mag sie sich auf dieser Höhe gehalten haben. Die Revolutionswirren brachten dann ein natürliches Nachlassen des Eifers. Nachher jedoch begann die Zahl bald wieder zu wachsen. 1860 zählte man 31.000, welche Zahl dann ständig stieg, so daß sie im Jahre der Aufhebung die Höhe von 50.000 erreichte. Im Jahre 1875, also ein Jahr nachher, zählte man nur mehr 4.000. Im Jahre 1935 betrug sie wieder 41.000. - Die hl. Messen können aus früheren Jahren nicht angegeben werden. Im Jahre 1875 wurden deren 1.200 gelesen; 1890 gegen 1.500, und 1935 war sie auf 3.900 angewachsen.
Schon zur Zeit des Abtes Fintan bürgerte sich der schöne Brauch ein, daß sich Hochzeitspaare am Gnadenorte trauen ließen. In den Jahren 1670 bis 1691 wurden über 1000 Ehen eingesegnet. Dieser Brauch wurde besonders in den Revolutionsjahren gepflegt, wo sich die Elsäßer und die Leute aus dem besetzten bischöflichen Gebiete in ihrer Heimat nicht mehr trauen lassen konnten. Bis 1893 fehlen die Belege für Trauungen in Mariastein; 1893 weist das Eheregister 19 Eheschließungen auf; von 1900 an war ein stetes Steigen zu bemerken; 1906 zählte man 141. Die größte Zahl, die bisher erreicht wurde, zeigt das Jahr 1929 mit 516 Trauungen; 1935 waren es deren 383.
Im Jahre 1923 wurde der Wallfahrtsverein von Mariastein gegründet, der sich zur Aufgabe machte, alles zu fördern, was zur Erhaltung und Mehrung der Wallfahrt von Mariastein getan werden kann. Bei der Gründung dieses Vereins wurde auch beschlossen, eine monatliche Wallfahrtszeitschrift herauszugeben unter dem Titel: "Die Glocken von Mariastein". Die erste Nummer gelangte noch im gleichen Jahre an die Öffentlichkeit und besitzt heute eine Auflage von 2.400 Exemplaren.
Ein großes Arbeitsfeld für die Wallfahrtsprieser war die Leitung von Exerzitien, die zum ersten Male im Jahre 1922 hier abgehalten wurden. Seit diesem Zeitpunkt haben 3346 Mäner und Jungmänner, 272 Jungfrauen und 1340 Priester in Mariastein ihre hl. Exerzitien gemacht.
Eine enorme Hebung der Wallfahrt bedeutete die Erhebung der Wallfahrtskirche zur Basilika, die Papst Pius XI. auf Verwendung des damaligen päpstlichen Nuntius in Bern und jetzigen Kardinals Luigi Maglione im Jahre 1926 gewährte, wie auch die Einführung des Festes Maria zum Trost, das jedes Jahr am ersten Sonntag im Juli im Beisein einer gewaltigen Pilgermenge gefeiert wird.
Die kirchlichen Festtage werden am Gnadenorte mit möglichster Feierlichkeit begangen. Am ersten Mittwoch eines jeden Monats findet ein Gebetskreuzzug gegen die Gottlosenbewegung statt, mit einem Hochamt am Vormittag, Aussetzung des Allerheiligsten über die Mittagszeit, die dann durch Predigt und eine Sühneandacht am Nachmittag abgeschlossen wird. Beichtgelegenheit wird zu jeder Tageszeit geboten. Im Sommer sitzen die Patres oft stundenlang im Beichtstuhl, und die vier, von der Regierung in Solothurn angestellten und besoldeten Patres könnten den Ansprüchen der Pilger niemals gerecht werden, wenn im Sommer nicht noch weitere Pastres zugezogen würden. Bei großen Festlichkeiten oder zahlreichen Pilgerzügen sind deren noch mehr anwesend. Die sogenannten Krankentage sind seit zwei Jahren eingeführt und bedeuten eine gewaltige Mehrbelastung der Patres. All die Vorbereitungen, die getroffen werden müssen, damit alles klappt, und die Kranken gut versorgt sind, stellen große Anforderungen an die Wallfahrtspriester.
Die Wallfahrt von Mariastein hat eine große Geschichte und zeigt trotz verschiedenster Schicksalsschläge eine Entwicklung vorwärts. Wenn in den letzten Jahren der Storm der Pilger sich gewaltige gemehrt hat und von zirka 30.000 auf 200.000 gestiegen ist, so bedeutet dies eine enorme Arbeit für die Wallfahrtspriester. Wenn an Sonntagen und großen Festtagen oft Hunderte zur hl. Beicht gehen, wenn an einem Tag oft zwei-, drei- und viermal gepredigt werden muß, wenn sonst noch den verschiedenen Wünschen der Pilger entsprochen werden soll, so ist das immerhin eine große Kulturarbeit.


P. Willibald Beerli O.S.B.
Die Katholischen Orden und Kongregationen der Schweiz, herausgegeben von Dr. phil. und theol. J. Hartmann, 1937/38, Verlagsexemplar IMMACULATA-ZENTRUM, CH-9050 Appenzell.
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